Bischöfliches Gymnasium
Sankt Ursula
Geilenkirchen
In seinem philosophischen Hauptwerk „Politeia” („Der Staat”) lässt Platon seinen Bruder Glaukon im Gespräch mit Sokrates drei Arten des Guten unterscheiden:
1. Gutes, das wir um seiner selbst willen erstreben und nicht wegen seiner Folgen;
2. sodann Gutes, an dem uns sowohl um seiner selbst willen als auch wegen seiner Folgen gelegen ist;
3. schließlich Gutes, das wir nicht um seiner selbst willen haben möchten, wohl aber im Hinblick auf das, was sich daraus weiter ergibt.
Welche dieser Möglichkeiten könnte Sie, liebe Eltern, und Dich, liebe Schülerin/lieber Schüler, veranlassen, das Fach Latein an unserer Schule zu wählen? Latein im ersten Falle als Gut ohne konkreten Nutzen scheint doch eher für den berühmten Elfenbeinturm gedacht. Die letzte Möglichkeit, Latein ausschließlich wegen seiner positiven Wirkungen gleichsam zu ‚erdulden‘, erinnert wohl eher an bittere Medizin. So wird es das Ziel dieser Seite der Fachschaft Latein sein, zu begründen, warum man – im Sinne des mittleren Weges – Latein sowohl um seiner selbst willen als auch wegen seiner guten Folgen erlernen möge.
Latein ist die Sprache der Römer; sie wurde über Jahrhunderte hinweg in allen Teilen des Imperium Romanum von Nordafrika bis in das heutige Großbritannien hinein gesprochen. In ihr wurden Verträge und Gesetze niedergeschrieben, Reden gehalten und bedeutende literarische Werke verfasst.
Auch nach dem Ende des römischen Reiches behielt die lateinische Sprache in Europa und anderen Teilen der Welt bis in die Neuzeit hinein als Sprache der Kirche, der Wissenschaft, der Verwaltung und des Rechts große Bedeutung. In den romanischen Sprachen, die sich kontinuierlich aus dem Lateinischen weiterentwickelt haben, sowie im Deutschen, Englischen und anderen europäischen Sprachen, die eine Vielzahl von Einzelelementen entlehnt haben, lebt die lateinische Sprache noch heute fort. Zahlreiche Fremdwörter und die wissenschaftliche Begrifflichkeit haben ihren Ursprung im Lateinischen. Insofern gilt Latein als Basissprache Europas.
Lateinische Texte eröffnen den Zugang zu einer in der Vergangenheit liegenden und in der Gegenwart wirksamen Welt. Sie befassen sich mit den jeweiligen Lebensbedingungen, mit gesellschaftlichen, politischen, kulturellen, religiösen und philosophischen Themen, mit menschlichen Erfahrungen und Schicksalen, mit Werten und Normen des Handelns. Sie spiegeln sowohl historisch und subjektiv bedingte Sichtweisen als auch Reflexionen und Erkenntnisse, die normative Kraft entfaltet und unsere Geisteswelt geprägt haben.
In einer zweieinhalbtausend Jahre langen Überlieferung von der Antike über das Mittelalter bis in die Neuzeit liegen lateinische Texte vor, an denen sich die Entwicklung zentraler Ideen verfolgen lässt. Ob es um grundsätzliche Fragehaltungen in der Wissenschaft, um Auffassungen vom Staatswesen, um verallgemeinerungsfähige Rechtsgrundsätze, um künstlerische Motive oder um das Wesen des Menschen, seine Würde und seine Verantwortung geht, in diesen und vielen anderen Bereichen lassen sich in der Antike die gemeinsamen Wurzeln und das kulturelle europäische Erbe entdecken, das von besonderer Bedeutung für die Identitätsbildung eines zusammenwachsenden Europas ist.
Eine zentrale Aufgabe des Lateinunterrichts und komplementär zum Unterricht in den modernen Fremdsprachen ist vor diesem Hintergrund die Befähigung der Schülerinnen und Schüler zur historischen Kommunikation. Unter Nutzung kognitiver und affektiver Zugangsmöglichkeiten treten die Schülerinnen und Schüler in einen Dialog mit dem lateinischen Text und erschließen seine Mitteilung. Sie setzen sich mit den vorgefundenen Aussagen und Fragestellungen auseinander, stellen Beziehungen her zu ihrer eigenen Zeit und Lebenssituation und suchen nach individuellen Antworten auf die Mitteilungen des Textes. Schülerinnen und Schüler entwickeln auf diese Weise Verständnis für fremde Vorstellungen und Handlungsweisen, sie erkennen Elemente von Kontinuität und Wandel, entdecken wichtige gemeinsame Grundlagen europäischer Kultur und erhalten dadurch Unterstützung bei der persönlichen Orientierung und Selbstbestimmung in der Gegenwart und Zukunft. Damit fördert der Lateinunterricht die kulturelle und interkulturelle Kompetenz der Schülerinnen und Schüler.
Latein ist als Gegenstand des Unterrichts keine Sprache, die der unmittelbaren Verständigung dient. Als überschaubares System stellt sie ein Modell von Sprache dar, das sich aufgrund der historischen Distanz in besonderer Weise für sprachreflektierendes Arbeiten anbietet. Das Verstehen lateinischer Texte erfolgt in einem differenzierten Erschließungs- und Übersetzungsprozess. Dieser setzt sichere Kenntnisse in Lexik, Morphologie und Syntax der lateinischen Sprache, methodische Fertigkeiten und Wissen aus den Bereichen der römischen Geschichte und Kultur und der Rezeption der Antike voraus. Der Erschließungs- und Übersetzungsprozess erfordert in besonderem Maße Genauigkeit, systematisches Vorgehen, überlegtes Abwägen von Alternativen und kritisches Beurteilen von Lösungsversuchen. Durch diese Art der Sprach- und Textreflexion, die ein wesentliches und spezifisches Element des Lateinunterrichts ist, entwickeln Schülerinnen und Schüler Lesekompetenz. Sie werden durch das sprachkontrastive Arbeiten in die Lage versetzt, die deutsche Sprache differenzierter zu gebrauchen. Semantische, strukturelle und methodische Zugangsmöglichkeiten erleichtern ihnen das Verstehen und Erlernen weiterer Fremdsprachen. Sie verfügen über Methoden ökonomischen und wissenschaftspropädeutisch orientierten Arbeitens.
Die Entwicklung dieser Fähigkeiten ist notwendig, wenn Jugendliche sich zu selbstständigen Persönlichkeiten heranbilden sollen, die den Aufgaben und Herausforderungen der modernen Lebenswelt gewachsen sind und Bereitschaft zeigen, in ihr Verantwortung zu übernehmen.
(aus: Kernlehrplan Latein für das Gymnasium – Sekundarstufe I in Nordrhein-Westfalen, S. 11-12)
Allgemeine Hinweise zum Schulfach Latein und dem Latinum als staatlicher Qualifikation für zahlreiche Studiengänge bietet das Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen.
Das Ministerium weist hier deutlich auf die bleibende Relevanz des Latinums hin:
„Das Latinum ist die Definition eines Standards an Kenntnissen und Kompetenzen im Umgang mit lateinischen Texten hinsichtlich der Fähigkeit, lateinische Originaltexte zu verstehen und zu übersetzen. Der Nachweis des Latinums wird bei der Zulassung zum Studium bzw. bei der Zulassung zum Examen in zahlreichen Fächern gefordert, und zwar sowohl in Studiengängen, die mit einem Staatsexamen abschließen, wie auch bei hochschulinternen Prüfungen (Magister, Promotion). An den einzelnen Universitäten in Nordrhein-Westfalen und den übrigen Bundesländern gelten hinsichtlich des Latinums unterschiedliche Bedingungen. In der Regel können über die Homepages der jeweiligen Universitäten die konkreten Bedingungen abgefragt werden.“
Genauere Informationen enthält auch das Merkblatt zum Erwerb des Latinums, welches das Ministerium herausgegeben hat.
Für unsere Schule gelten konkret folgende Regeln:
Schüler/innen, die in der Klasse 6 (G9: Klasse 7) mit dem Lateinunterricht beginnen, erwerben das Latinum (bei mindestens ausreichenden Leistungen) nach fünf Jahren, also zum Ende der Einführungsphase.
Bei dieser Möglichkeit - dem frühen Lateinbeginn, den wir Lateinlehrer/innen empfehlen - können unsere Schüler/innen einerseits Latein als fortgeführte Fremdsprache in der gymnasialen Oberstufe bis zum Abitur belegen; das Fach Latein erfreut sich an unserer Schule gerade auch wegen der interessanten Unterrichtsinhalte der letzten beiden Schuljahre großer Beliebtheit. Andererseits sind die Schüler/innen, welche Latein nach dem Erwerb des Latinums abwählen möchten, in der Wahl ihrer Fächer für die Qualifikationsphase frei und können dabei einen eigenen Schwerpunkt setzen.
Schüler/innen, die in der Klasse 8 (G9: Klasse 9) mit dem Lateinunterricht beginnen, erwerben das Latinum (bei mindestens ausreichenden Leistungen) nach vier Jahren, also zum Ende des ersten Jahres der Qualifikationsphase. Dies ist deshalb gegeben, weil der Unterricht im Fach Latein als dritter Fremdsprache an unserer Schule in den Klassen 8 und 9 (G9: 9 und 10) vierstündig erteilt wird.
Schüler/innen, die Latein als neu einsetzende Fremdsprache in der gymnasialen Oberstufe belegen, erwerben das Latinum (bei mindestens ausreichenden Leistungen) durch eine Erweiterungsprüfung im Zusammenhang mit der Abiturprüfung. Die Prüfung umfasst eine dreistündige (Übersetzungs-)Klausur und eine mündliche Prüfung im Umfang von 15 bis 20 Minuten. Die Aufgaben der schriftlichen Prüfung werden von der obersten Schulaufsichtsbehörde landeseinheitlich zentral gestellt, von einer Fachlehrkraft der Schule korrigiert und bewertet und schulintern zweitkorrigiert. Die mündliche Prüfung wird von der Schule durchgeführt. Die obere Schulaufsicht kann den Vorsitz übernehmen.
Ist die in der Einführungsphase neu einsetzende Fremdsprache Latein 3. oder 4. Abiturfach, so wird die Leistung im Rahmen der Prüfung zum Erwerb des Latinums als mündlicher bzw. schriftlicher Prüfungsteil anerkannt.
Das sogenannte Kleine Latinum existiert immer noch und kann unter bestimmten Voraussetzungen, die ebenfalls auf dem Merkblatt zum Erwerb des Latinums dargelegt sind, erlangt werden, falls es für das Latinum an sich nicht reichen sollte. Ob diese geringerwertige Qualifikation allerdings in den meisten Fällen für den angestrebten Studiengang oder Examensabschluss genügt, ist zu bezweifeln.
Zur derzeit schwierig zu beantwortenden Frage, welche Lateinqualifikation konkret für welches Hochschulstudium erforderlich ist, bietet der Deutsche Altphilologenverband eine allgemeine Einschätzung unter dem Thema Latein als Studienvoraussetzung.
Im Fächerangebot der Oberstufe zählt Latein zum Aufgabenfeld I (sprachlich-literarisch-künstlerisches Aufgabenfeld). Von den vier zu wählenden Abiturfächern (2 Leistungskurse, 2 Grundkurse) muss mindestens ein Fach aus diesem Aufgabenfeld stammen. Während Latein im Grundkursbereich der Qualifikationsphase an St. Ursula schon viele Jahre lang vertreten ist, besteht seit dem Schuljahr 2016/2017 ebenfalls die Möglichkeit, das Fach als Leistungskurs zu belegen. Dieses Angebot richtet sich an alle Schülerinnen und Schüler, die seit der Jahrgangsstufe 6 oder der Jahrgangsstufe 8 Latein lernen.
Wenn man sich nach der Jahrgangsstufe EF aus guten Gründen dafür entscheidet, Latein in der Qualifikationsphase zu belegen, sollte auch die Wahl eines Leistungskurses in Erwägung gezogen werden. Der Unterschied zwischen Grund- und Leistungskurs besteht dabei weniger in der Schwierigkeit als vielmehr im Umfang der zu lesenden Texte und der zu leistenden Interpretationsarbeit. Die im Vergleich zum Grundkurs erhöhte Stundenzahl ermöglicht es im Leistungskurs, Texte noch tiefgehender zu interpretieren, z.B. im Hinblick auf die literarische Gestaltung, die historischen und inhaltlichen Zusammenhänge oder die Bezüge zu unserer Gegenwart.
Aus Schülersicht besteht ein großer Vorteil des Lateinunterrichts der Oberstufe darin, dass ein Großteil der erforderlichen sprachlichen Fähigkeiten (Vokabeln, Formen, Grammatik, Übersetzung) bereits in der Sekundarstufe I erworben wurde, so dass der Schwerpunkt der Unterrichtsarbeit der Sekundarstufe II in der Übersetzung und Interpretation der lateinischen Originaltexte liegen kann. Diese Verlässlichkeit spiegelt sich auch im Aufbau der Klausuren wider, der sich im Verlauf der Oberstufe nur unwesentlich verändert: Eine Klausur besteht immer aus der Übersetzung (Teil I) und Interpretation (Teil II) einer lateinischen Textstelle – von Beginn der Q1 bis zur Abiturklausur.
Im Laufe der Jahrgangsstufe EF werden alle Lateinschülerinnen und -schüler in einer Informationsstunde über Inhalte und Abläufe des Lateinunterrichts der Qualifikationsphase informiert. Für die Beantwortung weiterer Fragen stehen alle Lateinkolleginnen und -kollegen jederzeit zur Verfügung.
Jedes Jahr nehmen Oberstufenschüler/innen unserer Schule am Certamen Carolinum, dem Landesschülerwettbewerb für die Alten Sprachen des Landes Nordrhein-Westfalen, teil. Das Certamen wird in drei Runden ausgetragen: In der ersten Runde schreiben die Teilnehmer einen Essay zu vorgegebenen Themen aus dem Gebiet der alten Sprachen und der antiken Kultur, in der zweiten eine Übersetzungsklausur aus dem Lateinischen oder aus dem Altgriechischen; und in der dritten Runde, der Endrunde (die im November in Aachen stattfindet), halten die Teilnehmer vor einer Jury aus Fachleuten einen Vortrag über ein selbst gewähltes Thema aus dem Bereich der Antike, bei dem ein Bezug zur Gegenwart hergestellt werden soll.
Bereits mehrfach haben Schüler unserer Latein- oder Griechischkurse äußerst erfolgreich diesen Wettbewerb absolviert und sich gegen starke Konkurrenz aus ganz Nordrhein-Westfalen durchgesetzt. Dabei konnten sich Johannes Maximilian (Max) Niessen (2008), Sinja Küppers (2011), Johanna Jäger (2019) und Emilia Kaminski (2021) sogar über die Aufnahme in die Studienstiftung des deutschen Volkes freuen, die sie durch ihre ausgezeichneten Vorträge in der Endrunde erreicht haben. Auch Denise Keufen (2016: Preis des Vereins zur Förderung der Alten Sprachen), Emma Thevißen (2018: Preis der Elisabeth-Lebek-Stiftung), Maxim Marggraf (2019: Preis des Vereins Pro Lingua Latina), Clemens Jäger (2021: Preis des Generalkonsulats der Hellenischen Republik) und Jana Achten (2022: Preis der Stadt Aachen) haben zuletzt mit großem Erfolg an der Endrunde teilgenommen.