Bischöfliches Gymnasium
Sankt Ursula
Geilenkirchen
75 Minuten lang folgten die Schülerinnen und Schüler des Bischöflichen Gymnasiums Sankt Ursula Geilenkirchen den Schilderungen von Steve Cole aus Kansas City. Zu Beginn monierte er mit einem Lächeln die Uhrzeit des Gesprächs, denn der Beginn der fünften Schulstunde am Gymnasium Sankt Ursula bedeutete für Steve aufgrund der Zeitverschiebung gerade einmal die fünfte Stunde des Tages: „Es ist gerade 4:30 Uhr hier, und ich bin noch etwas müde.“
Detailliert schilderte der US-Amerikaner, was seiner jüdischen Mutter und ihrer Familie vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges in Deutschland widerfahren war. Geschichtslehrer Pascal Cremer hatte das digitale Zusammentreffen für das Gymnasium Sankt Ursula organisiert. Anlass war der 80. Jahrestag der Befreiung des größten deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar. Neben der Klasse 10d nahmen Schülerinnen und Schüler der EF und der Klasse 10e an dieser tiefgründigen Begegnung teil.
Steves Mutter war in Deutschland integriert: „Sie führte ein typisches Leben einer Jugendlichen, ein Leben wie ihr es heute kennt“, sagt Steve Cole. „Sie war integriert und hatte Pläne für die Zukunft. Das Abwenden der Freunde veränderte ihren Alltag.“ Soziale Kontakte brachen ab, der Studienwunsch wurde ihr als Jüdin verwehrt, und die Gewalt nahm zu. Ein zivilisiertes Land mit kultureller Geschichte und Wissenschaft („the best of all“) drehte durch: „Alle Menschen waren verrückt geworden“, so schildert Steve die Situation um das Jahr 1938 in Deutschland.
Nach den Erlebnissen der Reichspogromnacht („Ein Nachbar sagte: ‚In zehn Minuten werden sie euer Haus niederbrennen.‘“) wagte Steves Mutter Ilse Dahl, einst Schülerin am Gymnasium Sankt Ursula in Geilenkirchen, die Flucht in die USA. Ihre Eltern schafften dies nicht und wurden im Konzentrationslager ermordet. „Ab dem Jahr 1941 hat sie bis zum Ende des Krieges nichts mehr von ihren Eltern und dem Rest der Familie gehört“, so Steve Cole. Eine Erinnerung ist das große Familienfoto, das Steve den Schülerinnen und Schülern präsentiert, um diese Situation greifbar zu machen.
Ob eine Rückkehr nach Deutschland für seine Mutter ein Thema gewesen sei, möchte ein Schüler wissen. „Nein“, ist die klare Antwort. Die USA wurden zur Heimat, und die Erinnerungen an Deutschland waren zu belastend. Zweimal kehrte Ilsa Cole nach Deutschland zurück, um Erinnerungen wachzuhalten und Erlebnisse zu verarbeiten; eine dauerhafte Rückkehr sei jedoch nie ein Thema gewesen.
„Vorbeugen und verhindern ist die Mission, und solche Zusammentreffen sind in einer zerstrittenen Welt von steigender Bedeutung“, sagt Steve Cole. Schulleiter Jürgen Pallaske dankte am Ende der Videokonferenz Geschichtslehrer Pascal Cremer für die Organisation dieser einzigartigen Unterrichtsstunde, in der für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Geschichte real und lebendig geworden sei – „eine für alle überaus wertvolle Erfahrung“, so Pallaske.
Die Schülerinnen und Schüler im Klassenraum ordneten den Austausch mit Steve Cole ähnlich ein. Ein Videoauszug ist auf der Instagram-Seite der Schule sowie des Bistums Aachen zu finden.